(1. September 2016)
Zum Weltfriedenstag 2016 unterstützte der Trägerkreis in Jena die Kundgebung und Demo der Initiative Stop Wars Jena. Eine gelungene Aktion mit Teilnehmern verschiedener Jugendorganisationen wie SDAJ, Jugend gegen Rechts, dielinke SDS und DKP.
Ansprache von Superintendent Sebastian Neuß.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
ich freue mich, als Mitglied des Jenaer Trägerkreises Rüstungskonversion und Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Jena ein Grußwort zu dieser Kundgebung am Weltfriedenstag sprechen zu dürfen.
In vielen Ländern der Erde werden in Kriegen, Konflikten und Krisen Menschen verfolgt und getötet, heimatlos gemacht und zur Flucht gezwungen.
Die furchtbaren Bürgerkriege in Syrien, Afghanistan, Südsudan, Eriträa und in einer ganzen Reihe anderer Staaten finden kein Ende. Die Welt scheint aus den Fugen, die Staatengemeinschaft schaut, in sich gespalten, dem höllischen Treiben hilflos zu, die Spuren der Kriege ziehen sich bis in unser Land und in unsere Stadt. Die zu uns Geflüchteten tragen diese Spuren an Leib und Seele.
Wir hören bestürzt die Berichte über Grausamkeiten, Hinrichtungen, Bombardements, wie jetzt in Aleppo, deren Bevölkerung beschossen und ausgehungert wird und wo ganze Stadtteile in Schutt und Asche fallen. Wir reagieren empfindlich, wenn wir das Foto vom fünfjährigen Omran sehen, das vor wenigen Wochen um die Welt ging. Blutverschmiert sitzt er in einem Krankenwagen. Der Staub eines zerstörten Hauses hängt in seinen Haaren und Kleidern. Der Anblick berührt uns. Vielleicht ließ er uns aufmerksam darauf werden, dass in derselben Nacht viele kleine Kinder aus Trümmern im Osten Aleppos gezogen werden mussten. Sie hatten kein Glück gehabt und sind gestorben. So wie der zehnjährige Bruder von Omran.
Ein Fotograf sagte: „Schaut hin, wendet den Blick nicht ab. Wenn man den Schock überwunden hat, kommt die Reflexion. Dann kann man den Horror hinter den Ereignissen erkennen.“ Wie reagieren empfindlich, wenn uns der Terror und der Horror so nahe kommt. Woran wir uns allerdings gewöhnt haben, ist die Tatsache, dass eine gewaltige Rüstungsproduktion weltweit die Waffen für diese Grausamkeiten liefert.
Über ratifizierte und über verborgene Wege gelangen sie in die Hände der Kriegsparteien, auch in die Hände derer, die Krankenhäuser bombardieren oder Kinder in den Kriegsdienst zwingen. Konzerne und Staaten profitieren davon. Auch Deutschland.
Die Statistik vermeldet, dass „weltweit Waffen und Rüstungsgüter im Wert von 1,46 Billionen Dollar umgesetzt wurden“ (Stockholmer Internationales Institut für Friedensforschung, 2008) Umgerechnet sind das 217 Dollar pro Mensch.“ Die jährliche Steigerungsrate zeigt rasant nach oben.
In Deutschland, einem der führenden Rüstungsexporteure in der Welt, wurden 2015 Einzelausfuhrgenehmigungen für Waffengeschäfte in Höhe von 7,56 Mrd. Euro er-teilt, genehmigt von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der höchste Betrag in den vergangenen zehn Jahren. Unser Reichtum basiert auch auf dem hiermit verursachten Elend in anderen Ländern.
Ein Gewöhnungseffekt scheint dabei kaum vermeidbar. Zu verworren erscheinen die Konflikte, zu unübersichtlich die Konfliktlinien, zu undurchsichtig sind die Geschäfte in sichere und unsichere Staaten und Regionen. Dabei weisen Umfragen nach: Rüstungsexport gilt in weiten Teilen unserer Gesellschaft als ethisch unvertretbar und ökonomisch kontraproduktiv.
Doch wo und wie lässt sich etwas bewegen?
Diese Frage hat eine Gruppe von Betriebsräten, Gewerkschaftern, Friedens- und Kirchenleuten angestoßen, 2013 hier in Jena den Trägerkreis Rüstungskonversion zu gründen. Sein Ziel ist es, auf lokaler Ebene für das Thema Rüstungsproduktion und Rüstungskonversion zu sensibilisieren. Denn auch in der Lichtstadt Jena wird im Schatten der zivilen Wirtschaft für militärische oder Sicherheitsanwendungen geforscht und produziert. Über solche sensiblen Angelegenheiten wird gern der Mantel des Schweigens gebreitet. Das ist „aus der Sicht der Auftraggeber und Produzenten durchaus verständlich … – aus Sicht der Bürger jedoch keineswegs.“
(Aus der Gründungsverlautbarung des Trägerkreises Rüstungskonversion).
Frieden schaffen ohne Waffen« – Dieses Motto hat mich in meiner Jugend begleitet.
Die SED verfolgte vor 30 Jahren Mitglieder der Jenaer Friedensgemeinschaft, die mit dieser Forderung mutig auf die Straße gingen, mit allen Mitteln. Das damit verbundene biblische Symbol »Schwerter zu Pflugscharen« aus dem Propheten Micha 4 hat freilich seitdem nichts an Aktualität eingebüßt.
Konversion – das ist Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Produktion. In einem weiter gefassten Verstehen von lateinisch Conversio können wir es auch mit dem Begriff „Umwendung“, „Umkehr“ zu übersetzen.
Um eine solche Umkehr des Denkens und Handelns anzustoßen, mischt sich der Trägerkreis mit Veranstaltungen, Vorträgen und Aktionen öffentlich ein.
Aktionen und Wortbeiträge im Rahmen der jährlichen Aktionärsversammlungen kritisieren die Jenoptik AG, die einer der größeren Produzenten im Rüstungsgeschäft mit Komponenten für Hubschrauber, Kriegsschiffe, Kampfjets, Panzer und Drohnen ist. Der Trägerkreis lädt zu Podien und Vorträgen, kürzlich in der Rathausdiele zum Thema „Rüstungskonversion – Utopie oder reale Alternative?“, oder zu Kirchentagsveranstaltungen ein, wie im nächsten Jahr zum Kirchentag auf dem Weg (25.-28. Mai 2017) im 500. Gedenkjahr der Reformation in Jena. Die nächste Aktion ist zur Friedensdekade 2016 am 16. November an und in der Stadtkirche geplant. Ein Letztes, heute zum Weltfriedenstag Passendes: Vom Trägerkreis angestoßen, haben im November 2015 19 Thüringer Organisationen die Initiative Thüringer Rüstungskonversionsfonds gegründet, darunter die IG Metall Jena-Saalfeld, die Deutsche Friedensgesellschaft – Regionalgruppe Ost, Die Partei DIE LINKE. Thüringen, die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (Friedensbeauftragte), der Evangelisch-Lutherische Kirchenkreis Jena, mehrere Friedenskreise, der Internationale Versöhnungsbund und der IPPNW – Ärzte in sozialer Verantwortung. Die Initiative möchte ein politisches Nachdenken darüber anzustoßen, wie Thüringer Unternehmen, die sich von der (teilweisen) Produktion militärischer Güter und Komponenten abwenden wollen, in diesem Anliegen gefördert werden können. Die die Thüringer Landesregierung tragenden Parteien haben rüstungskritische Signale in ihren Wahlkampfprogrammen verankert. Der Initiativkreis fordert die thüringische Landesregierung auf, der Frage der Rüstungskonversion ein deutlicheres gesellschaftliche Gewicht zu verleihen und die Gründung eines solchen Fonds’ anzuregen und einzuleiten.
Ich schließe mit dem Hinweis auf eine Friedensinitiative in Sachsen-Anhalt. Heute, am Weltfriedenstag, erhält die Bürgerinitiative „OFFENe HEIDe“ den Aachener Friedenspreis.
Seit über 20 Jahren setzt diese Initiative mit ihrem Friedensweg in der Colbitz-Letzlinger Heide ein deutliches Zeichen gegen die strategische Umorientierung der Bundeswehr und der NATO zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee.
Es gibt eine breite Friedensbewegung in Deutschland. Sie mag klein sein im Vergleich zu den Großen in Politik und Wirtschaft. Aber sie macht Hoffnung. Ohne die klare Option für gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien und die politisch gewollte Kontrolle und Konversion der Rüstungsproduktion und des Rüstungsexportes haben wir keine Zukunft. Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Es ist gut, dass wir heute am Weltfriedenstag mit dafür einstehen wollen und ein sichtbares Zeichen für den Frieden setzen.
Vielen Dank.
Sebastian Neuß
Hinweise:
Link: https://www.facebook.com/stopwarsjena/
Flyer: Flyer WFT 2016-08-15… .pdf
Fotos: WP_20160901_001.pdf bis WP_20160901_022.pdf